29.10.2025

Militärische Zeitenwende
Kontext: Trojanows Kritik
Ilija Trojanow, bekannt als Schriftsteller und politisch engagierter Intellektueller, äußert sich häufig pazifistisch und globalisierungskritisch. Seine Aussage in der taz zielt auf die gegenwärtige sicherheitspolitische Wende Deutschlands und Europas — also auf Aufrüstung, höhere Verteidigungsausgaben (z. B. das 100-Milliarden-Sondervermögen), Waffenlieferungen an die Ukraine und den Ausbau der NATO-Abschreckung.
Wenn er schreibt, die Aufrüstungspolitik führe in eine Sackgasse und man müsse sich vom Mythos der Wehrhaftigkeit verabschieden, meint er wohl:
- Militärische Stärke garantiere keine Sicherheit.
- Abschreckung verstärke Spiralen des Misstrauens (Sicherheitsdilemma).
- Frieden entstehe nicht durch Waffen, sondern durch Diplomatie, Kooperation und strukturelle Veränderungen (Abrüstung, Gerechtigkeit, Klimaschutz, etc.).
Das ist eine im linkspazifistischen Spektrum verbreitete Position, die auf die langfristigen Kosten und psychologischen Dynamiken militärischer Logik hinweist.
Argumente, die Trojanows Sicht unterstützen
- Sicherheitsdilemma: Mehr Aufrüstung auf einer Seite provoziert Aufrüstung auf der anderen. Statt Stabilität entsteht Instabilität.
- Ökonomische und soziale Verdrängungseffekte: Hohe Rüstungsausgaben binden Ressourcen, die für soziale, ökologische und humanitäre Aufgaben fehlen.
- Historische Erfahrungen: Das Vertrauen in Abschreckung hat Kriege nicht immer verhindert (z. B. Erster Weltkrieg trotz Rüstungswettlauf).
- Moralisch-ethische Dimension: Militarisierung verfestigt Feindbilder und rechtfertigt Gewalt als „normalen“ Bestandteil von Politik.
- Globale Perspektive: Länder des globalen Südens erleben westliche Wehrhaftigkeit oft als hegemoniales Dominanzverhalten, nicht als Friedenspolitik.
Gegenargumente zur „Sackgasse“-These
- Realistische Perspektive: In einer Welt, in der Staaten wie Russland oder China militärisch Druck ausüben, ist Wehrhaftigkeit Voraussetzung für Souveränität und Friedenssicherung.
→ Ohne glaubhafte Abschreckung könnte Aggression belohnt werden (siehe Ukraine). - Wehrhaftigkeit ≠ Militarismus: Eine defensive, regelbasierte Sicherheitspolitik kann zugleich friedensorientiert sein — z. B. Abschreckung und Diplomatie.
- Europäische Verantwortung: Ein ungeschütztes Europa würde entweder erpressbar oder abhängig (z. B. von den USA bleiben), was langfristig politische Selbstbestimmung schwächt.
- Menschliche Schutzpflicht: Pazifismus ist moralisch ehrenwert, aber wenn er zur Ohnmacht führt, kann er unmoralisch werden — etwa wenn er Diktatoren freie Hand lässt.
Differenzierte Einordnung
Trojanows Warnung vor dem „Mythos der Wehrhaftigkeit“ ist eine notwendige Mahnung, dass militärische Logik nicht zum alleinigen Paradigma werden darf.
Aber die komplette Absage an Wehrhaftigkeit verkennt die Realität autoritärer Machtpolitik.
Ein verantwortlicher Mittelweg wäre:
- Wehrhaftigkeit als ultima ratio, nicht als Leitideologie;
- Rüstungspolitik gekoppelt an Diplomatie, Rüstungskontrolle und Prävention;
- Demokratische Kontrolle über militärische Entscheidungen;
- Gesellschaftliche Resilienz auch jenseits des Militärs (Energieunabhängigkeit, Informationssouveränität, Bildung).
- Fazit
Trojanow erinnert an eine zentrale moralische Wahrheit: Frieden kann nicht dauerhaft auf Waffen gebaut werden.
Aber Sicherheitspolitik, die diese Wahrheit ignoriert, läuft Gefahr, realitätsfremd zu werden.
Eine kluge Politik muss also wehrhaft, aber nicht kriegerisch, realistisch, aber nicht zynisch, pazifistisch im Ziel, aber pragmatisch im Weg sein.

Bericht